Empört euch!
In den letzten Tagen ging mal wieder ein haarsträubender Vergleich durch die Onlinenetzwerke. Im Gewand angeblicher Fakten und wasserdichter Vergleiche kam platter Populismus daher.

„Deutschland – Alle Menschen sind gleich!?“ wurde dort gefragt und der Fall „Emmely“ dem Rücktritt von Christian Wulff gegenübergestellt. Der Vergleich ist nicht nur falsch, sondern auch unvollständig.



Falsch ist der Vergleich, weil unterschiedliche Konsequenzen gegenübergestellt werden. Die Kassiererin hatte zwei nicht ihr gehörende Pfandbons eingelöst und wurde dafür fristlos gekündigt. Ihren in 31 Jahren erworbenen Rentenanspruch hat das nicht berührt. Die Rente für diese Arbeitszeit wird sie bekommen.
Christian Wulff musste nach Vorwürfen des Amtsmissbrauches, Vorteilnahme sowie der Täuschung aus seiner der Zeit als Ministerpräsident, von seinem Amt als Bundespräsident zurückgetreten. Am Tag zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Hannover angekündigt, die Aufhebung der Immunität von Wulff zu beantragen, um den Weg für weitere Ermittlungen frei zu machen. Für die Zeit als Bundespräsident erhält er keine Rente, sondern einen Ehrensold. Im Gegensatz zur Rente kann der Ehrensold gewährt werden, die Rente muss gewährt werden.
Die Konsequenz aufgrund ihres Fehlverhaltens ist allerdings in beiden Fällen: Sie sind ihren Job los. Soweit sind alle Menschen gleich.
Unvollständig ist der Vergleich, weil die Geschichte in beiden Fällen nicht da aufhört, wo es das Bild suggeriert. Der Kassiererin wurde vorgeworfen, zwei nicht ihr gehörende Pfandgutbons in Höhe von insgesamt 1,30€ zu ihren Gunsten eingelöst zu haben. Als sie darauf von ihrem Arbeitgeber angesprochen wurde, leugnete sie die Tat und wurde später fristlos entlassen. Darauf hin klagte sie 2 Jahre durch alle Instanzen bis hin zum Bundesarbeitsgericht auf Wiedereinstellung. Nach der Meinung von „Emmely“ rechtfertigt das Einlösen der Pfandbons keine Kündigung. In der Verhandlung am 10. Juni 2010 stellte das Gericht fest, das die Tat nur eine „erhebliche Pflichtwidrigkeit“ war und das in 31 Jahren Berufstätigkeit erworbene Vertrauen durch diese einmalige und geringfügige Verfehlung keine Kündigung rechtfertigt (BAG 2 AZR 541/09). Der Arbeitgeber hätte lediglich mit einer Abmahnung reagieren können. Die Konsequenz: Die Kassiererin musste wieder eingestellt werden und erhielt den vollen Lohn der ihr seit der Kündigung entgangen war. Damit nicht genug. Der Arbeitgeber musste natürlich die Verfahrenskosten tragen, die Rentenzahlungen nachholen und ihr den entgangen Urlaub von insgesamt 4 Monaten gewähren.
Bei Christian Wulff ist die Geschichte auch nicht vorbei. Die Vorwürfe aus seiner Zeit als Ministerpräsident werden nach wie vor von der Staatsanwaltschaft Hannover untersucht. Ob und wann es zu einer Anklage kommt, ist bisher offen. Bleibt noch die Frage nach dem Ehrensold. Wulffs Vorgänger Horst Köhler war aufgrund scharfer Kritik an seinen Äußerungen nach 6 Jahren Amtszeit zurückgetreten. Anfang März 2012 wurde bekannt, das Köhler auf seinen Ehrensold verzichtet.

Leider ist dieser falsche und unvollständige Vergleich kein Einzelfall.
Der Internetunternehmer Kim Schmitz wurde Anfang Januar Pädophilen, Mördern und Verbrechern gegenübergestellt. Immer erhielt er die höhere Strafe in den Vergleichen. Hier nochmal das Bild zur Erinnerung:



Die hier gemachte Aussage des „Vergleichs“ ist die folgende: Zwei unterschiedliche Menschen bekommen in unterschiedlichen Staaten für unterschiedliche Verbrechen aufgrund unterschiedlicher Rechtssysteme unterschiedliche Strafmaße. Das ist kein Vergleich.
Und falsch Angaben enthält die Aussage auch noch. Kim Schmitz ist im Unterschied zu den gegenübergestellten Personen noch nicht rechtskräftig verurteilt. Die Vorwürfe (und eben keine Verurteilung) gegen ihn gehen bisher von Urheberrechtsverletzungen bis hin zu Steuerhinterziehung und Geldwäsche, wofür ihm ein bestimmtes Strafmaß droht.

Wie also richtig vergleichen?
Der Vergleich ist eine grundlegende Methode um Unterschiede oder Gemeinsamkeiten zwischen zwei Objekten zu erkennen. So einfach wie das klingt, gibt es doch einige Voraussetzungen für einen erfolgreichen Vergleich, die unter anderen der deutsche Philosoph Alfred Brunswig definierte. Es braucht mindestens zwei (Vergleichs-)Objekte und jemand der vergleicht (das Subjekt). So weit, so gut. Die beiden Objekte müssen außerdem durch ein bestimmtes Verhältnis (Relation), das heißt Gleichheit oder Ungleichheit gekennzeichnet werden können. Als letztes Kriterium führt Brunswig die Hinsicht an und meint damit, dass die beiden Objekte mindestens ein Merkmal gemeinsam haben müssen. Hier ist nur das Merkmal gemeint, nicht die Merkmalsausprägung. Natürlich müssen die Angaben an sich richtig sein, falsche Angaben können zu keinem richtigen Vergleich führen.
Kleines Beispiel:
Ein braunes uns ein weißes Hühnerei der Größe M (zwei Objekte) erkenne ich (Subjekt) in Hinsicht auf die Höhe (gemeinsames Merkmal) als gleich (Relationen der Merkmalsausprägung).
Das braune und das weiße Hühnerei sind aber in Hinsicht auf die Farbe ungleich.

Im "Emmely"-Wulff-Vergleich gibt es sogar zwei gemeinsame Merkmale: der Vorwurf und die Konsequenz wobei die Merkmalsausprägung jeweils ungleich ist. Die Kassiererin und der Bundespräsident sahen sich beide einem Vorwurf ausgesetzt (Pfandbon unrechtmäßig eingelöst die eine, Amtsmissbrauch etc. der andere), und mussten dafür die Konsequenzen tragen, nämlich die Merkmalsausprägung: Abmahnung für die eine, der andere musste vorerst nur zurücktreten. Das Merkmal der Rente hat nur die Kassiererin, während der Bundespräsident das Merkmal Ehrensold hat, also das gemeinsame Merkmal fehlt. Es werden hier zwei Merkmale verglichen und nicht die Merkmalsausprägungen.
Im zweiten Beispiel gibt es kein gemeinsames Merkmal. Im linken Teil des Bildes werden die Merkmale Haftjahre, die Straftat sowie der Ort genannt. Im rechten Bildabschnitt sind lediglich die Merkmale drohendes Strafmaß und der Vorwurf genannt. Hier kann also überhaupt kein Vergleich stattfinden da die gemeinsamen Merkmale fehlen.

Im Endeffekt geht es nicht um Kleinlichkeit sondern tatsächliche Ungleichheiten deutlich zu machen wo es sie, nach Meinung desjenigen der den Vergleich anstellt, nicht geben sollte. Mit bloßem Populismus wie in den beiden Beispielen kommt man da nicht weiter. Wenn bei einem Vergleich die richtigen Fakten genannt werden und die Methode korrekt verwendet wird, braucht es keine empörten Worte mehr.
Dann kann man schöne Bilder machen. Aber bitte richtig!

Mitarbeit: tra