Mittwoch, 7. März 2012
Empört euch!
In den letzten Tagen ging mal wieder ein haarsträubender Vergleich durch die Onlinenetzwerke. Im Gewand angeblicher Fakten und wasserdichter Vergleiche kam platter Populismus daher.

„Deutschland – Alle Menschen sind gleich!?“ wurde dort gefragt und der Fall „Emmely“ dem Rücktritt von Christian Wulff gegenübergestellt. Der Vergleich ist nicht nur falsch, sondern auch unvollständig.



Falsch ist der Vergleich, weil unterschiedliche Konsequenzen gegenübergestellt werden. Die Kassiererin hatte zwei nicht ihr gehörende Pfandbons eingelöst und wurde dafür fristlos gekündigt. Ihren in 31 Jahren erworbenen Rentenanspruch hat das nicht berührt. Die Rente für diese Arbeitszeit wird sie bekommen.
Christian Wulff musste nach Vorwürfen des Amtsmissbrauches, Vorteilnahme sowie der Täuschung aus seiner der Zeit als Ministerpräsident, von seinem Amt als Bundespräsident zurückgetreten. Am Tag zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Hannover angekündigt, die Aufhebung der Immunität von Wulff zu beantragen, um den Weg für weitere Ermittlungen frei zu machen. Für die Zeit als Bundespräsident erhält er keine Rente, sondern einen Ehrensold. Im Gegensatz zur Rente kann der Ehrensold gewährt werden, die Rente muss gewährt werden.
Die Konsequenz aufgrund ihres Fehlverhaltens ist allerdings in beiden Fällen: Sie sind ihren Job los. Soweit sind alle Menschen gleich.
Unvollständig ist der Vergleich, weil die Geschichte in beiden Fällen nicht da aufhört, wo es das Bild suggeriert. Der Kassiererin wurde vorgeworfen, zwei nicht ihr gehörende Pfandgutbons in Höhe von insgesamt 1,30€ zu ihren Gunsten eingelöst zu haben. Als sie darauf von ihrem Arbeitgeber angesprochen wurde, leugnete sie die Tat und wurde später fristlos entlassen. Darauf hin klagte sie 2 Jahre durch alle Instanzen bis hin zum Bundesarbeitsgericht auf Wiedereinstellung. Nach der Meinung von „Emmely“ rechtfertigt das Einlösen der Pfandbons keine Kündigung. In der Verhandlung am 10. Juni 2010 stellte das Gericht fest, das die Tat nur eine „erhebliche Pflichtwidrigkeit“ war und das in 31 Jahren Berufstätigkeit erworbene Vertrauen durch diese einmalige und geringfügige Verfehlung keine Kündigung rechtfertigt (BAG 2 AZR 541/09). Der Arbeitgeber hätte lediglich mit einer Abmahnung reagieren können. Die Konsequenz: Die Kassiererin musste wieder eingestellt werden und erhielt den vollen Lohn der ihr seit der Kündigung entgangen war. Damit nicht genug. Der Arbeitgeber musste natürlich die Verfahrenskosten tragen, die Rentenzahlungen nachholen und ihr den entgangen Urlaub von insgesamt 4 Monaten gewähren.
Bei Christian Wulff ist die Geschichte auch nicht vorbei. Die Vorwürfe aus seiner Zeit als Ministerpräsident werden nach wie vor von der Staatsanwaltschaft Hannover untersucht. Ob und wann es zu einer Anklage kommt, ist bisher offen. Bleibt noch die Frage nach dem Ehrensold. Wulffs Vorgänger Horst Köhler war aufgrund scharfer Kritik an seinen Äußerungen nach 6 Jahren Amtszeit zurückgetreten. Anfang März 2012 wurde bekannt, das Köhler auf seinen Ehrensold verzichtet.

Leider ist dieser falsche und unvollständige Vergleich kein Einzelfall.
Der Internetunternehmer Kim Schmitz wurde Anfang Januar Pädophilen, Mördern und Verbrechern gegenübergestellt. Immer erhielt er die höhere Strafe in den Vergleichen. Hier nochmal das Bild zur Erinnerung:



Die hier gemachte Aussage des „Vergleichs“ ist die folgende: Zwei unterschiedliche Menschen bekommen in unterschiedlichen Staaten für unterschiedliche Verbrechen aufgrund unterschiedlicher Rechtssysteme unterschiedliche Strafmaße. Das ist kein Vergleich.
Und falsch Angaben enthält die Aussage auch noch. Kim Schmitz ist im Unterschied zu den gegenübergestellten Personen noch nicht rechtskräftig verurteilt. Die Vorwürfe (und eben keine Verurteilung) gegen ihn gehen bisher von Urheberrechtsverletzungen bis hin zu Steuerhinterziehung und Geldwäsche, wofür ihm ein bestimmtes Strafmaß droht.

Wie also richtig vergleichen?
Der Vergleich ist eine grundlegende Methode um Unterschiede oder Gemeinsamkeiten zwischen zwei Objekten zu erkennen. So einfach wie das klingt, gibt es doch einige Voraussetzungen für einen erfolgreichen Vergleich, die unter anderen der deutsche Philosoph Alfred Brunswig definierte. Es braucht mindestens zwei (Vergleichs-)Objekte und jemand der vergleicht (das Subjekt). So weit, so gut. Die beiden Objekte müssen außerdem durch ein bestimmtes Verhältnis (Relation), das heißt Gleichheit oder Ungleichheit gekennzeichnet werden können. Als letztes Kriterium führt Brunswig die Hinsicht an und meint damit, dass die beiden Objekte mindestens ein Merkmal gemeinsam haben müssen. Hier ist nur das Merkmal gemeint, nicht die Merkmalsausprägung. Natürlich müssen die Angaben an sich richtig sein, falsche Angaben können zu keinem richtigen Vergleich führen.
Kleines Beispiel:
Ein braunes uns ein weißes Hühnerei der Größe M (zwei Objekte) erkenne ich (Subjekt) in Hinsicht auf die Höhe (gemeinsames Merkmal) als gleich (Relationen der Merkmalsausprägung).
Das braune und das weiße Hühnerei sind aber in Hinsicht auf die Farbe ungleich.

Im "Emmely"-Wulff-Vergleich gibt es sogar zwei gemeinsame Merkmale: der Vorwurf und die Konsequenz wobei die Merkmalsausprägung jeweils ungleich ist. Die Kassiererin und der Bundespräsident sahen sich beide einem Vorwurf ausgesetzt (Pfandbon unrechtmäßig eingelöst die eine, Amtsmissbrauch etc. der andere), und mussten dafür die Konsequenzen tragen, nämlich die Merkmalsausprägung: Abmahnung für die eine, der andere musste vorerst nur zurücktreten. Das Merkmal der Rente hat nur die Kassiererin, während der Bundespräsident das Merkmal Ehrensold hat, also das gemeinsame Merkmal fehlt. Es werden hier zwei Merkmale verglichen und nicht die Merkmalsausprägungen.
Im zweiten Beispiel gibt es kein gemeinsames Merkmal. Im linken Teil des Bildes werden die Merkmale Haftjahre, die Straftat sowie der Ort genannt. Im rechten Bildabschnitt sind lediglich die Merkmale drohendes Strafmaß und der Vorwurf genannt. Hier kann also überhaupt kein Vergleich stattfinden da die gemeinsamen Merkmale fehlen.

Im Endeffekt geht es nicht um Kleinlichkeit sondern tatsächliche Ungleichheiten deutlich zu machen wo es sie, nach Meinung desjenigen der den Vergleich anstellt, nicht geben sollte. Mit bloßem Populismus wie in den beiden Beispielen kommt man da nicht weiter. Wenn bei einem Vergleich die richtigen Fakten genannt werden und die Methode korrekt verwendet wird, braucht es keine empörten Worte mehr.
Dann kann man schöne Bilder machen. Aber bitte richtig!

Mitarbeit: tra



Sonntag, 22. Januar 2012
The Gentleman is dead, long live the Gentleman!
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Immer wieder hört man dieselben lamentierenden Worte: es gebe keine Gentlemen mehr.
Dazu sage ich: ja, und das ist auch gut so.

Man stelle sich folgende Szene vor: Schritte auf dem Asphalt. Eine Fahrertür fällt ins Schloss, schwere Schuhe arbeiten sich in festen Schritten um das Auto. Die Tür öffnet sich, und leichte Füße berühren den Boden. Eine Hand wird gereicht, die Frau steigt aus.
Zugegeben, eine schöne Vorstellung. Und zugegeben, eine Situation, die man nicht mehr häufig sieht. Die Interaktionsmuster zwischen Männern und Frauen ändern sich. Ich sehe es täglich, und ja, ich bin schuldig. Ich tue es viel zu selten.

Ein Freund sagte mir einmal, man müsse Frauen mit großer Vorsicht behandeln. Man müsse vermeiden, dass sie schwere Sachen heben, sie sollten keine Türen öffnen. Das seien Frauen ihm wert. Mich machte diese Aussage sprachlos, spiegelt sie doch die alten patriarchalischen Weltansichten vergangener Jahrhunderte wider. Ich wurde anders erzogen, in einer Welt in der Frauen nicht das schwache, sondern das gleichgestellte, emanzipierte Geschlecht sind.
Diese Form der Lebensführung einzuklagen geht damit einher, eigene Ansprüche an die Gleichheit von Mann und Frau aufzugeben und sich der vermeintlichen Macht des männlichen Geschlechts zu untergeben. Die Frage ist, warum sollten wir dies tun? Und ist es nicht unmoralisch von Männern, dies von Frauen im 20. Jahrhundert zu verlangen?

Ich denke nicht, dass es uns an Gentlemen in dieser Welt fehlt. Vielmehr glaube ich, dass es umso besser ist, wie sich die Welt verändert hat. Daher stehe ich zu der Erzählung von John Rastel, der im Jahr 1525 in seinem Werk The Mery Gestys of the Wydow Edyth einen Gentleman einem Bauer gegenüber stellte. Der Bauer widersprach dem Gentleman in seiner vermeintlichen Ehre, und betonte, dass ein wahrer Gentleman sich durch „Demut, Geduld, Nächstenliebe, Freigebigkeit, Enthaltsamkeit [und] Ehrlichkeit“ auszeichne – weshalb der Bauer der wahre Gentleman sei. Wohl war.
Der Unterschied ist klein, aber entscheidend. Wir sollten uns nicht wie Gentlemen aufspielen, und Mitmenschen damit in ihrer sozialen Stellung herunterstufen. Wir sollten aber dennoch mit Demut, Geduld, Nächstenliebe, Freigebigkeit, Enthaltsamkeit und Ehrlichkeit, und einem stets offenen Auge durch die Welt schreiten. So können wir unseren Mitmenschen mit gegebenen Respekt und Rücksicht entgegentreten. Auf dass wir alle Gentleladies und Gentlemen seien.


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Again and again you hear the same lamenting words: there are no gentlemen left in the world.
I say: yes, and that’s a good thing.

Picture this scene: Steps on the tarmac. A driver’s door falls shut. Heavy boots work their way around the car. The passenger door opens, and small feet meet the road. A hand is held out, and the woman steps out.
Granted, it’s a beautiful notion. And granted, too, a situation that has become rare. The patterns of interaction between men and women change, and yes, I am guilty. I do it far too rarely.

A friend once said that you had to treat women very delicately. You needed to take care that they never have to lift heavily. They should never have to open doors by themselves. Women were worth it. This statement baffled me. It was a mirror to a world of past centuries with its strict patriarchic world views. I was raised differently in a world where women were not the weak sex, but the equal and emancipated sex.
To demand this form of lifestyle goes with giving up your standard of equality between man and woman. It goes with being subordinate to the assumend power of men. The question is, why should we do this? And is it not immoral of men to demand this from 20th century women?

I do not believe that we have too few Gentlemen in the world. Rather, I believe the world has change for the good. Therefore, I stand with a narrative by John Rastel. In his work The Mery Gestys of the Wydow Edyth from 1525 he opposes the Gentleman with a farmer. The farmer objects to the Gentleman and states that a true Gentleman in fact shows “humility, patience, charity, munificence, austereness [and] honesty” – which is why the farmer is the true Gentleman. True story.
The difference is small, but important. We should not act up as Gentlemen and thereby denigrate fellow women in their social status. We should instead walk through the world with a healthy degree of humility, patience, charity, munificence, austereness and honesty, and an open eye. That is how we can meet people with respect and consideration for us all to be gentle ladies and gentlemen.